シュミットは日本にいるよ。

Ich bin bis September 2007 als Student in Japan und verfolge das ambitionierte Vorhaben, was ich erlebe, festzuhalten und zu schreiben, was ich mir dabei denke. Macht dieser Satz Sinn? Wohl kaum, und gleichzeitig zeigt er, was ich mir vorgenommen habe, naemlich Sinn zu finden, wo zunaechst erstmal keiner zu sehen war. Vielen Dank fuers Lesen, ich weiss es ist manchmal schwer. Zum Glueck weiss keiner wie es in meinem Kopf aussieht...

Dienstag, Oktober 10, 2006

Sprachlos


Gibt es einen Ausdruck für so etwas wie eine „Lügesucht“? D.h., eigentlich ist es keine Lügesucht, unter der ich leide, sondern vielmehr Lügezwang, der erwächst aus einseitiger Sprachlosigkeit und der Rhetorik der japanischen Sprachgemeinschaft, die außer Japan vielleicht noch Düsseldorf einschließt. (An dieser Stelle einen herzlichen Gruß an die Immermannstraße). Mit Sprachlosigkeit meine ich, dass ich mich selbst dafür bewundere, mit welcher Eloquenz ich es bereits schaffe, auch die abenteuerlichsten Fragen auf Japanisch zu formulieren. Etwa: „Wenn ich mein Fahrrad bei der Polizei registriere, und dann gestohlen melde – was passiert mit demjenigen, der es fahrend gefasst wird?“ Die Antwort ist: Ich habe keine Ahnung, was die Antwort ist. Und das meine ich mit einseitiger Sprachlosigkeit. Die ersten und letzten Worte eines Satzes schaffen meine Ohren meist noch zu dekodieren, was ausreicht, um eine genrelle Stimmungsanalyse des Gesprächspartners durchzuführen, aber der Teil des Satzes, der bestimmt ist, mir die entscheidenden Informationen zu vermitteln, versinkt in einem Sumpf kryptischer Laute. Das ist die eine Seite der Sprachlosigkeitsmedaille. Die andere hat damit zu tun, das ich mich oft nicht traue, nachzufragen. Das beruht darauf, dass ich einerseits Menschen, die ich anspreche, ja ohnehin schon genug ihrer Zeit raube, und außerdem neigen Japaner dazu, sich unwohl zu fühlen, wenn sie merken, dass ich nur schlecht folgen kann, sie selbst aber nicht gut genug Englisch können, um mir zu antworten. Dann fangen sie an, sich dafür zu entschuldigen und frenetisch zu verbeugen, und wir gehen letztendlich auseinander mit dem Gefühl meinerseits, dass ich gerade mal wieder den Tag einer bis dahin glücklichen Person auf ignoranteste Art atomisiert habe. Nach einer kurzen Feldforschungsphase in verschiedenen öffentlichen Stellen und Büros habe ich mir daraufhin die Fähigkeit angeeignet, so zu tun, als verstünde ich jedes einzelne Wort Japanisch noch bis in die kleinste, verschluckte Silbe am Satzende. Häufiges Nicken, gekoppelt mit „hai“(ja), „soo desu ka“ (achso?) und dem obligatorischen „wakarimashita“(ich habe verstanden) am Ende führen zu fortan sozial verträglichen Konversationen von solcher Authentizität, dass ich manchmal ganz vergesse, dass ich gar nichts verstehe. Ich gehe dann glücklich und beschwingt meines Weges und fühle mich interkulturell kompetent. Nur bei Wegbeschreibungen bin ich vorsichtig: Natürlich warte ich erst ab, bis mein Lügenzwang-Opfer außer Sichtweite ist, damit er oder sie nicht sehen kann, dass ich in die falsche Richtung laufe und sich Vorwürfe macht, eine schlechte Beschreibung gegeben zu haben. Das dürfte natürlich eigentlich nicht vorkommen, da Gesten innerhalb von Wegbeschreibungen ja doch ziemlich universell funktionieren. Zumindest schließe ich aus, dass ein geradeaus ausgestreckter Arm heißen könnte „Egal was sie tun, gehen sie auf keinen Fall geradeaus.“ – „Hai, wakarimashita“, sagte er und lief geradewegs ins Verderben... Soweit sollte es doch nicht kommen, außerdem bin ich ja schlau genug, für Wegbeschreibungen Leute anzusprechen, die mindestens eine Hand frei haben.
Einen gewissen Vorteil hat meine Inkompetenz aber auch: Zum ersten Mal realisiere ich, wie viel unwichtige Informationen wir uns den ganzen Tag anhören. Als ich zum Beispiel im Rathaus meine „Alien Registration Card“ (die heißt wirklich so, ich bin offiziell ein Alien) beantragt habe, die Ausländer zu jeder Zeit bei sich tragen müssen, hat der zuständige Sachbearbeiter für ungefähr sechs Minuten gar nicht mehr aufgehört zu reden. Ich habe nickend und hai sagend dagesessen und vor mich hinüberlegt, was er wohl noch wichtiges sagen könnte, außer dem Abholdatum für die Karte und der Tatsache, dass ich sie immer mit mir tragen muss – was im übrigen beides in Englisch auf der Durchschrift des Antragsformulares steht. Außerdem habe ich mich gefragt, ob ich auf dem Nachhauseweg wohl an meinem Standard Ramen-Restaurant essen soll oder doch noch was einkaufe, und ob die abschraubbaren Kappen meiner Zimt und Zuckerfläschchen wohl in den gelben Sack für brennbaren, oder den grünen Sack für nicht brennbaren Müll gehören. Das wiederum führte zu dem Entschluss, doch mal wieder Milchreis zu essen. Es lebt sich schon irgendwie leicht, wenn man unbewusst weiß, dass man die wirklich wichtigen Dinge wohl schon irgendwie mitbekommen wird, aber mit dem ganzen Rest gar nicht weiter belastet wird. Meine Wasserrechnung zum Beispiel. Der Betrag steht fein säuberlich in arabischen Zahlen am Ende, und auf welcher Grundlage dieser errechnet wurde? Nun ja... wird schon stimmen, schließlich bin ich in Japan, und außerdem: Meine Beschwerde würde auch nicht besonders weit gehen: „Da stimmt was nicht mit meiner Wasserechnung, ich glaube, Sie haben mir zuviel berechnet.“ „Ah, chotto matte kudasai (Einen Moment bitte). Iuhsdfvguibhaegozaimasu. ouafahgudrhngbodihagkudasai.kusghaeurhuerbitadakemasenka.uhigveoruvhboighedesu.“ „Hai, wakarimashita. Arigatoo gozaimasu (Vielen Dank).“ Dann würde ich leicht verbeugen, umdrehen und gehen, nach Hause fahren und ausgiebig heiß duschen, da ich ja eh nur ein Wurm in den Händen der Wasserwerke bin und es alles nichts ändert.
Nach Hause fahre ich übrigens mit meinem günstig erstandenen Damenfahrrad mit praktischem Einkaufskorb, dass natürlich auch bei der Polizei registriert ist. In Wirklichkeit war die ganze Fahrradnummer nämlich nur ein Aufhänger für diese Episode. Ausländische Fahrraddiebe kommen nämlich zuerst einmal in die Zelle des örtlichen Polizeiamtes und werden bei ungünstiger Beweislage ausgewiesen und dürfen für immer auf Wiedersehen zu Japan sagen. Und nur, weil ein Fahrrad drei Wochen unangeschlossen an der Straße steht, heißt das noch lange nicht, dass es niemandem gehört, viele Räder hier haben gar keine Schlösser.Darauf hatte man uns aber auch schon am ersten Tag an der Uni hingewiesen – auf Englisch. Wakarimashita. Ganz ohne Lügen.

5 Comments:

At Mittwoch, Oktober 11, 2006 4:48:00 AM, Blogger toby. said...

Oh oh, ich freue mich jetzt schon auf Japan.... Das kann ja heiter werden. Den Part mit den Satzanfängen und -enden kenne ich auch, nur glaube ich, dass du mittlerweile eigentlich schon besseres japanisch sprechen müsstest und dass noch kein Licht am Ende des Tunnels sichtbar wird irritiert mich ein wenig. Nun ja, aber das wird schon. Ich schlage vor, du klaust einfach die nächste Zeit mal keine Fahrräder und der Rest ergibt sich von selbst. Deal? :-)
Ich fänd es übrigens doch sehr lustig, wenn die Leute doch ein "Egal was Sie tun: Geradeaus wartet das Verderben höchstpersönlich auf Sie!" sagen täten... Also, tanoshimi ni shite kudasai! :-)

 
At Mittwoch, Oktober 18, 2006 6:15:00 AM, Anonymous Anonym said...

...und wo bleiben denn nun bitte die ersten pics from japan...??? wir warten oberungeduldig! vielen dank aber fuer die lacher bei diesem eintrag.

viele liebe gruesse
andreas & nicole

 
At Sonntag, Oktober 22, 2006 10:49:00 PM, Anonymous Anonym said...

Zumindest musst du dich nicht mit der Mc Lang-Zu Werbekampange rumärgern...was macht die kunst? ich finde es sehr lustig geschrieben!

Grüße und hoffe auf mehr,

Anne(gret)

 
At Mittwoch, Oktober 25, 2006 9:48:00 AM, Anonymous Anonym said...

Es ist gleich drei Uhr nachts, aber ich konnte mir nicht verkneifen, deinen Artikel noch schnell zu lesen - und ich bin nicht enttäuscht worden! Vielen Dank für diesen nächtlichen Lesegenuss! Ein großer Spaß! Ich würd nicht nach Japan wollen... ;)

 
At Freitag, Dezember 01, 2006 10:28:00 AM, Anonymous Anonym said...

Ich stimme zu. Es ist fast 2 Uhr aber das kann ich wieder noch Mal lesen. Sehr lustig. Ich hoffe Dir geht's gut, Seb.

 

Kommentar veröffentlichen

<< Home