シュミットは日本にいるよ。

Ich bin bis September 2007 als Student in Japan und verfolge das ambitionierte Vorhaben, was ich erlebe, festzuhalten und zu schreiben, was ich mir dabei denke. Macht dieser Satz Sinn? Wohl kaum, und gleichzeitig zeigt er, was ich mir vorgenommen habe, naemlich Sinn zu finden, wo zunaechst erstmal keiner zu sehen war. Vielen Dank fuers Lesen, ich weiss es ist manchmal schwer. Zum Glueck weiss keiner wie es in meinem Kopf aussieht...

Donnerstag, Oktober 26, 2006

In der Freizeit steht der Spaß an erster Stelle


Es gibt verschiedene Wege, als ausländischer Student Japaner an der Uni kennenzulernen. Entweder man nickt sympathisch, lächelt leicht und geht auf Leute zu, die meistens sofort wie versteinert stehenbleiben. Natürlich ist das ein bisschen gemein, zumal vorsichtshalber niemand davon ausgeht, dass man Japanisch spricht, sei es auch nur, um beim ersten korrekt konstruierten Satz Lobeshymnen zu singen. Und es sprechen ja nicht alle Studenten Englisch, auch wenn fast alle es sechs oder sieben Jahre lang in der Schule gelernt haben. Eigentlich stimmt das so aber auch nicht, denn was die meisten lernen, ist Englisch lesen und auf Japanisch übersetzen. Und das wars auch schon. Grammatik und jegliche Form von Sprechpraxis bleiben dabei meist auf der Strecke. Auf die Frage, wie lange man denn schon Englisch lerne, antworten die meisten Studenten: Seit sieben Jahren, aber mit Sprechen erst seit zwei Jahren. Klingt für mich nach Lateinunterricht in Deutschland, tote Sprachen spricht man schließlich nicht.
Für den Durchschnittsausländer wie mich ist das dennoch praktisch, denn wenn ich mal ein Wort auf Japanisch nicht weiß (und ich kann nicht behaupten, dass das gerade selten der Fall ist), sage ich es auf Englisch, was dann auch umgehend mit verständigem Nicken begrüßt wird.
Im Gespräch mit Englisch-Studenten hat man meist schneller einen neuen Eintrag im Handy-Telefonbuch als man bis drei zählen kann. Geschichts-Studenten hingegen ergreifen in der Regel möglichst schnell die Flucht, sich für ihr schlechtes Englisch entschuldigend, obwohl die Unterhaltung ja in meinem gebrochenen Japanisch stattgefunden hat.
Das ist nun, wie angedeutet, eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme. Eine andere ist, sich an einen Ort zu begeben, an dem sich Studenten mit ähnlichen Interessen in gemütlicher Atmosphäre treffen, um genau diesen Interessen nachzugehen – in den sogenannten Clubs. Dies sind Gruppen, die sich kulturellen oder athletischen Disziplinen widmen, diese aktiv ausüben und von Studenten geleitet werden. Vorkenntnisse sind nicht unbedingt benötigt, und das Angebot ist reichhaltig: Von Aikido bis Teezeremonie, über Windsurfing, Bogenschießen, Kendo, Modern Jazz, Ikebana (Blumenarrangement) und Bibellesen ist alles dabei. Entsprechend erfasste mich auch die Begeisterung bei Durchblättern des Club-Verzeichnisses. Und verließ mich auch gleich wieder beim Anblick der Trainingszeiten. Gerade sollte meine Judo-Karriere beginnen, da musste ich doch realistisch eingestehen, dass montags bis freitags 18-20 Uhr und samstags von 13 bis 16 Uhr etwas viel erschien. Zumal ich ja auch 32 Wochenstunden Uni-Klassen habe und täglich bis in die Nacht versuche, meine Hausaufgaben wenigstens bis zur Hälfte zu erledigen. Einziger Wermutstropfen: Judo ist schon unter den Ausnahmen, die meisten Clubs treffen sich nur fünfmal pro Woche. Juhuu.
Also habe ich mir was neues überlegt, und bin mit Bryan, der Schlagzeug in Washington studiert, ins Musikgebäude gegangen, um Informationen über Übungsräume einzuholen, denn dann könnte ich ja wenigstens ein bisschen Flöte spielen, was ja aus Gründen der Bausubstanz in meinem Apartment wohl eher hasserfüllte Gesichter meiner Nachbarn herbeizaubern würde. Wir haben also Bryan ein Klavier gefunden, und auf die Frage, ob ich eine Flöte leihen könnte, sagte man mir, dass ich dafür dem Orchester-Club beitreten müsste, dort könnte man mir ein Instrument geben. Orchester-Club? Erneute Begeisterung, jedoch diesmal von Beginn an etwas gedämpft, denn im Orchester flöten ist ja schön, aber zwölf Stunden pro Woche...? Die Dame am Empfang wusste nichts genaueres, bat mich aber, die darauffolgende Woche wiederzukommen, sie würde sich in der Zwischenzeit erkundigen. Gesagt, getan, pünktlich am Freitag der Folgewoche war ich an gleicher Stelle und war sogleich schlauer als zuvor: dienstags und donnerstags, 18 Uhr. Das klang doch vielversprechend, da menschlich.
Als nächstes war dann zur Abwechslung mal nicht ich mit Begeisterung erfüllt, sondern die Leiter des Clubs, als wir einige Tage später unserer Interesse bekundeten. Ich war auch erstmal vorsichtig, „habe seit vielen Jahren keinen Unterricht gehabt“... „habe in den letzten zwei Jahren auch nicht besonders viel gespielt...vielleicht ist das doch etwas zu schwer, gleich im Orchester und so...“
Was ich denn nun denken würde, fragte man mich, es ginge ja schließlich nicht darum, irrsinnige Musik zu produzieren, sondern nur um den Spaß bei der Sache, man genießt das gemeinsame Musizieren usw usf. Ich könnte natürlich auch ein anderes Instrument spielen, wenn ich interessiert bin, die Uni besitzt genug davon. Ja klar! Cello, bitte, und Klarinette, dachte ich mir. Ich könnte das schließlich mal schnell lernen. Der Haken bei der Sache: Das nächste Konzert findet am 2. Dezember und unter anderem stehen Beethovens Siebente und Brahms Tragische Ouvertüre auf dem Programm. Mmmh...
Sechs Wochen von meinem ersten Gehversuch mit dem Cello bis Beethovens tadatatam?
Folgendes stellt sich heraus: Japaner haben eine andere Vorstellung von Spaß. Ich behaupte, dass ein Orchester in Deutschland, das nur so zum Spaß spielt, Stücke wählen würde, die man mal eben vom Blatt spielt und für die man sein Instrument nicht notwendigerweise außerhalb der Probenzeiten berühren muss. In Japan jedoch ist mal wieder alles anders. Hier heißt Spaß beim Musizieren 12 Stunden in der Woche Tonleitern und Beethovens Sextolen in der dritten Oktave bei 160 Schlägen pro Minute spielen. Natürlich schön entspannt. Spaß scheint auch vor allem durch die völlige Hingabe und Konzentration auf eine Sache zu entstehen, so lange bis Beethoven und Brahms in meinen Träumen gemeinsam Kuchen backen und bei mir im Unterricht sitzen und nach dem japanischen Ausdruck für „Verlust der Sprachfähigkeit durch exzessives Musizieren“ fragen.
Unter diesen Umständen schien es nicht der logischste Entschluss zu sein, Orchestermitglied zu werden, aber wann hat jemals Vernunft mein Handeln bestimmt?
Die gute Nachricht ist: Für das Dezember-Konzert waren bereits alle Flöten-Stimmen besetzt (der Etikette angemessen, habe ich diese Nachricht freilich mit Bedauern, aber unterwürfiger Akzeptanz, und innerlichen Freudentänzen aufgenommen). Die schlechte Nachricht ist: Am dritten und vierten November ist Gakuen Matsuri (Schulfest), wo einen ganzen Tag lang verschiedene Ensembles des Orchesters einzelne Stücke spielen. Das ist natürlich gar nicht schlecht, sondern gar herrlich. Jedoch: Ich bin in Abwesenheit zum Mitglied der Big Band erkohren worden und spiele angeblich nächsten Freitag zwei Stücke, von denen ich die Noten vor zwei Tagen erhalten habe und die schneller und höher sind, als alles was ich jemals gespielt habe. Bei der ersten Probe habe ich also stumm gespielt und wild mit den Fingern geklappert, wie man das von mir erwartet hat, ist ja schließlich alles nur zum Spaß. Beim Hören von Chiyuki, die auch die erste Stimme spielt, kamen mir dann doch innerlich die Tränen. Zumindest weiß ich nun, wie es sich anhören soll. Die japanische Standardreaktion auf die Erwähnung der eigenen, an Wahnsinn grenzenden Verzweiflung angesichts der eigenen Unfähigkeit ist natürlich „Ganbatte“ (durchhalten!). Schön und gut, nur leider heißt „durchhalten“ in diesem Kontext nicht Flötenspiel-Imitation bis zum Ende des Konzertes, sondern fehlerfreies Spiel bis zum Ende des jeweiligen Stückes. Morgen ist wieder Probe, und irgendwie bedaure ich nicht, dass ich keine Baldrian-Tropfen in meiner Reiseapotheke habe. Aber was rede ich nur, ist ja alles nur zum Spaß... ich lege mich jetzt besser mal schlafen, bekomme schon wieder Herzrasen vor lauter Spaß.

2 Comments:

At Mittwoch, November 01, 2006 5:59:00 AM, Anonymous Anonym said...

oh man...
schreib das doch mal in etappen...
ich muss da weiter lesen irgendwann...
aber schön, dass du ähnliche erfahrungen machst wie alle gai-jin... ganz schön baka-baka
...und schön, macht spaß zu lesen !!!

 
At Dienstag, November 14, 2006 4:49:00 PM, Anonymous Anonym said...

Guten Morgen,

ich habe mich sehr gefreut, deine Mutter hat mir gerade den Link zu deiner Seite geschickt. Schön das es dir gut geht, wir wünschen Dir weiterhin viel Spass und viel Glück in dieser fernen Welt. Lass es dir gut gehen.
PS. Du solltest doch darüber nachdenken ob du nicht Schriftsteller werden möchtest :-)

Liebe Grüße,
Julia Fessel

 

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